Von Verbrauchern, Kaufleuten, einer Ausstrahlungs- und Fortwirkung der Beweislastumkehr bis hin zum fiktiven Schadensersatz

Prof. Dr. Ansgar Staudinger, Universität Bielefeld

11. Januar 2022

Zunächst wünsche ich Ihnen, liebe Leserschaft – wenn auch etwas verspätet – alles Gute für das Jahr 2022. Bald steht der nächste Autorechtstag an, der sich gleichermaßen in einer Rückschau mit der Judikatur des BGH zum bisherigen Kaufrecht, aber auch mit den Neuregelungen ab dem 1.1.2022 befassen wird. Am 10.11.2021 hat der VIII. Zivilsenat in der Rechtssache VIII 187/20 ein umfassend begründetes Urteil zu einem Verbrauchsgüterkauf über einen Oldtimer gefällt. Von erheblicher Praxisrelevanz sind dabei gerade die Ausführungen zum Vorrang von § 13 BGB vor § 344 Abs. 1 HGB bei einem Einzelkaufmann. Nach Ansicht der Revisionsinstanz erscheint § 13 BGB im Verhältnis zu § 344 Abs. 1 HGB als jüngere und ebenso speziellere Vorschrift im Verbraucherrecht. Hieran ist im Ausgangspunkt auch für Vertragsabschlüsse vom 1.1.2022 an festzuhalten, da § 13 BGB und § 344 Abs. 1 HGB unverändert bleiben. Sicherlich spricht der vollharmonisierende Ansatz der Warenkaufrichtlinie gleichermaßen für dieses Ergebnis.

Besonders lesenswert sind ferner die Ausführungen zu § 476 BGB aF. So weist der BGH zutreffend darauf hin, § 476 Halbsatz 2 Alternative 2 BGB aF greife nicht ein, sofern eine Beschaffenheitsvereinbarung dahin getroffen wurde, das Fahrzeug sei frei von Durchrostungen. Auch hieran ist im Ausgangspunkt trotz der Neufassung von § 434 BGB auf der einen und § 477 BGB auf der anderen Seite festzuhalten.

Der erkennende Zivilsenat misst zudem § 476 BGB aF für bestimmte Fallkonstellationen eine Ausstrahlungs- sowie weitergehend eine Fortwirkung zu, ohne den EuGH einzubinden. Dies erscheint in Anbetracht des Umstandes, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nur minimalharmonisierend wirkte, sicherlich überzeugend, da es nicht untersagt war, richterrechtlich den Schutz zugunsten des Verbrauchers auszubauen. Der Nachfolgerechtsakt setzt demgegenüber zugleich Maximalstandards. Zudem sieht § 477 Abs. 1 S. 1 BGB seit dem 1.1.2022 eine Verdoppelung des Zeitraumes vor, sofern kein Tierkauf nach § 477 Abs. 1 S. 2 BGB betroffen ist. Damit stellen sich die europarechtliche Ausgangslage und in der Folge die Umsetzung anders dar. Ob und inwieweit demnächst der Gerichtshof in Luxemburg um Vorabentscheidung zu ersuchen ist, wird auf dem Petersberg zu diskutieren sein.

Anhand der Entscheidung aus Karlsruhe lassen sich aber auch weitere Unterschiede im neuen Recht seit dem 1.1.2022 aufzeigen, etwa laut § 475d Abs. 1 BGB die Abkehr von der Pflicht des Verbrauchers, dem Unternehmer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung zu setzen, sowie der Ausschluss von § 442 BGB durch § 475 Abs. 3 S. 2 BGB im Bereich B2C.

Der VIII. Zivilsenat bejaht schließlich die Möglichkeit, den kaufvertraglichen Schadensersatzanspruch statt der Leistung fiktiv anhand der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten zu bemessen. Die vom V. Zivilsenat vertretene abweichende Lösung ist als Sonderweg vor allem auf § 637 Abs. 3 BGB gestützt worden, den es im Kaufrecht so nicht gibt. Auch diese Aussage des VIII. Zivilsenats lässt sich auf die neue Rechtslage ab 1.1.2022 übertragen, da weder die Verbrauchsgüter- noch Warenkaufrichtlinie den Schadensersatzanspruch als Sanktion bei einem Sachmangel thematisieren. Insoweit handelt es sich um einen reinen nationalen Rechtsbehelf, der indes nach Maßgabe von § 474d Abs. 2 BGB synchron zu Rücktritt und Minderung ausgestaltet ist.

Liebe Leserschaft, der Autorechtstag ist zweispurig angelegt, Rechtsprechungsüberblick zum alten Recht und Ausblick auf die Veränderungen seit 1.1.2022. Kommen Sie mit Old-, Youngtimern, Verbrennermotoren oder genügend Batteriestrom auf den Petersberg, ob mit viel oder wenig Wissen im Gepäck. Sie bekommen zwar keinen Öl-, wohl aber den BGB-Wechsel vor Augen geführt, damit Sie mit Blick auf Ihre Konkurrenz auf der Überholspur bleiben.

In Vorfreude auf ein Wiedersehen verbleibe ich mit besten Grüßen

Ihr/Euer
Ansgar Staudinger

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