Aus der internationalen Rechtsprechung zum Kaufrecht

Aus der internationalen Rechtsprechung zum Kaufrecht

Liebe Leserinnen und Leser,

wer kennt ihn nicht, den Großmeister Alfred Hitchcock und seinen Film „Das Fenster zum Hof“. Der Regisseur gilt als Master of Suspense. Ebenso war mit Spannung die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Thermofenster auf Vorlage des Landgerichts Ravensburg erwartet worden, und zwar zur Einordnung verschiedener europäischer Regelungen als Schutzgesetze zwecks Haftung im nationalen Zivilrecht. Passgenau erließ der Europäische Gerichtshof am 21.3.2023 in der Rechtssache C-100/21 und damit am zweiten Tag des 16. Autorechtstags sein Urteil. Interessanterweise verlangt der Europäische Gerichtshof nicht nur eine Einordnung der verschiedenen Verbotstatbestände aus dem Unionsrecht als Schutzgesetze. Vielmehr stellt er die Forderung auf, dass jedes Zivilrecht im Binnenmarkt verhältnismäßige, vor allem aber auch abschreckende und effektive Sanktionen vorsehen müsse für den Fall, dass ein Automobilhersteller europarechtswidrig agiere.

Im Nachgang zum 16. Autorechtstag erging dann am 26.6.2023 das viel beachtete und rezensierte Urteil des Bundesgerichtshofs (VIa ZR 335/21). Nach Ansicht der Revisionsinstanz mag sich ein Automobilhersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen. Selbst wenn der Geschädigte diese erste Hürde mit Erfolg genommen haben sollte, winkt allenfalls der kleine Differenzschaden, der überdies auf maximal 15% des gezahlten Kaufpreises gedeckelt werden soll. Darüber hinaus sind dann noch Vorteile der Nutzung des Fahrzeugs anzurechnen. Sicherlich wirft die Entscheidung aus Karlsruhe die Frage auf, ob hier noch den Vorgaben des Unionsrechts in der Lesart des Europäischen Gerichtshofs hinreichend Rechnung getragen wird. Seit dem Juni allerdings bleibt doch festzustellen, dass sich ein Dieselgate 2.0 nicht eingestellt hat. Denn vielfach scheiterten die Klagen bereits an der ersten Hürde des unvermeidbaren Verbotsirrtums. Mithin kann man derzeit mit Blick auf eine drohende Klageflut eher feststellen: Still und starr ruht der See. Und schon macht sich der eine oder andere gedanklich mit dem Song von Chris Rea “Driving Home for Christmas“ auf den Weg nach Hause auf.

Das Landgericht Ravensburg macht sich indes noch einmal auf den Weg nach Luxemburg, als Weihnachtspräsent ein dezidierter Fragenkatalog im Gepäck. So soll doch noch einmal der Europäische Gerichtshof in Luxemburg Stellung beziehen zur Frage, ob die Entscheidungspraxis des Bundesgerichtshofs tatsächlich den Vorgaben einer verhältnismäßigen, effektiven und abschreckenden Sanktion entspricht. Durch den Beschluss des LG Ravensburg vom 27.10.2023 (2 O 331/19, 2 O 190/20, 2 O 425/20, 2 O 16/21, 2 O 57/21) ist möglicherweise das Kapitel Thermofenster anders als die Weihnachtsgeschichte doch noch nicht ausgeschrieben.

Geschädigte in anderen Mitgliedstaaten bis hin in der Schweiz, Norwegen und Island können jedenfalls bequem einen Prozess am Erwerbsort gegen inländische Automobilhersteller anstrengen, und zwar nach Maßgabe des jeweils dort geltenden Deliktsrechts. Dies hatte bereits der Europäische Gerichtshof am 9.7.2020 in der Rechtsache C-343/19 mit Blick auf VW entschieden. Dieses Urteil lässt sich nicht nur für die aktuelle Situation des Thermofensters nutzen. Ebenso ist der Entscheid aus Luxemburg von der Verordnung Brüssel Ia und dem dortigen Art. 7 Nr. 2 auf das revidierte Lugano-Übereinkommen zu übertragen. Was nun aber genau inländischen Geschädigten zusteht, bleibt im Nachgang zum Vorlagebeschluss des Landgerichts Ravensburg abzuwarten. Von der Haftungsfrage des Herstellers zu unterscheiden ist natürlich die Sachmängelgewährleistung zwischen Käufer und Autohändler.

Das Thema Thermofenster wird dementsprechend sicherlich nicht nur in internationalen Sachverhalten weiterhin von Interesse, sondern ebenso mit Blick auf die ausstehende EuGH-Entscheidung für die inländische Rechtsanwendung von hoher Praxisrelevanz sein. Daher wird die Themenstellung beim kommenden 17. Autorechtstag Eingang finden in die Diskussion. Fühlen Sie sich also herzlich aufgefordert, noch heute einen sicheren Platz für den 18./19.3.2024 zu buchen. Und seien Sie ebenso versichert, Sie werden eine Tagung nicht im Norman Bates Motel, sondern in einer wunderbaren Location erleben, die Ihnen einen herrlichen Ausblick durch gut geputzte normale Fenster und nicht Thermofenster ermöglicht. Zweifellos werden Sie dann mit mehr Weitblick, vielen Einblicken und letztlich einem besseren Durchblick bezogen auf nationales und Europäisches Recht wieder nach Hause fahren.

In diesem Sinne wünscht frohe Festtage,

Ihr/Euer

Ansgar Staudinger

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