Die 20.000 Euro-Folgen einer undichten Heckscheibe
Matthias Giebler, BVfK-Rechtsabteilung
15. Juni 2021
Der langersehnte Traum war in Erfüllung gegangen. Wie einst James Bond fuhr der nach später Jugend suchende Zahnarzt aus Berlin stolz mit dem vor Kraft strotzendem Achtzylinder vom Hof des auf Edelkarossen spezialisierten BVfK-Händlers aus dem Rheinland. Doch die Freude währte nicht lang als dem Startbefehl eines Morgens nicht mehr das gewohnte Schnurren des Motors folgte und sich auch das sonore Auspuffbrabbeln nicht einstellen wollte. Der junge gebrauchte, in Handarbeit gefertigte 200.000 Euro-Sportwagen aus dem Vereinigten Königreich verlangte bereits nach 7.000 km Gesamtlaufleistung nach einer neuen Batterie, die mit nicht unbescheidenen 700,- Euro zu Buche schlug. Wenn auch die Bitte an den BVfK-Händler um Erstattung der Kosten erst im Anschluss an die Reparatur herangetragen wurde, sah man über die Selbstvornahme des Kunden hinweg und zahlte. Kundenzufriedenheit hatte Vorrang.
In der überschaubaren Folgezeit schien sich der Käufer plötzlich auf dem „Highway to Hell“ wiederzufinden, ohne dass, oder gerade weil ACDC nicht daran beteiligt waren. Denn nun stellte auch die Soundanlage ihren Dienst ein. Die erneut beauftragte Vertragswerkstatt fand die vermeintliche Ursache und beseitigte diese durch Austausch der Verstärkereinheit. Wenngleich man in den frühen James-Bond-Zeiten für einen Betrag von 7.000 Euro vermutlich gleich mehrere Rockbands mit Musikanlagen ausstatten konnte, zeigte sich der Verkäufer erneut kulant und erteilte Anweisung zum vollständigen Ausgleich der Reparaturkostenrechnung.
Als kurz darauf beide Defekte erneut auftraten, sich also Batterie und Verstärker abermals verabschiedeten, sah sich die vom Käufer beauftragte Vertragswerkstatt endlich veranlasst, die Ursachenforschung zu intensivieren. Schließlich hatte der für die Ersatzteillieferung zuständige Importeur kundgetan, dass es jedenfalls bei der streitgegenständlichen Soundanlage bekanntermaßen noch nie einen Ausfall gegeben habe. Die späte Erkenntnis: Kurzschluss in Folge eines Wassereinbruchs an der serienmäßig manuell eingeklebten Heckscheibe, obwohl man Dichtheit bei einem auf einer regenreichen Insel gefertigten Fahrzeug eigentlich erwarten sollte.
Die Kosten für das Abdichten der Heckscheibe: mindestens 5.000 Euro. Als dann doch prognostiziert wurde, dass die Heckscheibe den für das Abdichten notwendigen Ausbau möglicherweise nicht überleben werde und voraussichtlich ebenfalls zu erneuern wäre, was Kosten von weiteren 2.500 Euro nach sich gezogen hätte, war die Kulanzbereitschaft des Händlers endgültig erschöpft, weshalb man die BVfK-Rechtsabteilung um Prüfung bat, ob man es mit einstandspflichtigen Sachmängeln im kaufrechtlichen Sinne zu tun hat oder Kostenerstattungsansprüche unter anderweitigen Gesichtspunkten denkbar sind.
Empfohlene Prüfreihenfolge:
- Konkurrenzverhältnis von Garantie und Gewährleistung – was ist vertraglich vereinbart, was ergibt sich bei Fehlen oder unklarer vertraglicher Regelungen aus dem Gesetz?
- Sind die geschilderten Defekte (Verstärker und Batterie – Laufleistung 7.000 km; Fahrzeugalter 4 Jahre) als kaufrechtlicher Mangel nach § 434 BGB einzustufen?
- Wenn ja, lagen diese Defekte oder deren Ursache bereits bei Übergabe vor?
- Wer hat das zu beweisen (Beweislastumkehr)?
- Wenn sich der Defekt innerhalb der ersten 6 Monate nach Übergabe gezeigt hat: Ist die Rückwirkungsvermutung mit der Art des Defektes oder der betroffenen Technik vereinbar?
- War die Heckscheibe bereits bei Übergabe undicht?
- Wenn ja, darf der Käufer bei einem Fahrzeug aus englischer Handmanufaktur eine dichte Heckscheibe erwarten?
- Wenn ja, haftet der Verkäufer auch für sogenannte „weiterfressende Mängel“, also Defekte, die zwar erst nach Übergabe entstehen, für die aber ein bereits bei Übergabe vorhandener Mangel verantwortlich ist?
- Hat der Kunde ggf. Anspruch auf Erstattung der Kosten für die von ihm selbst in Auftrag gegebenen Reparaturen (unberechtigte Selbstvornahme)?
- Hat der Händler durch sein kulantes Verhalten ggf. gewährleistungsrechtliche Ansprüche anerkannt?
- Wie wirken sich vertragliche Regelungen aus, mit denen Gewährleistungsansprüche für die Zukunft ausgeschlossen werden, sofern das defekte Bauteil im Rahmen einer Garantie kulanzweise instandgesetzt wurde?
- Welche Konsequenzen haben Nachlässigkeiten und Fehler der Werkstatt? Für die Werkstatt? Für den Händler? Für den Käufer?
Resümee: Zwischen Garantie- und Gewährleistungsansprüchen ist sauber zu trennen. Verhaltensweisen im Hinblick auf das eine Rechtsinstitut können sich allerdings auf das andere auswirken. So sollte aus Händlersicht beispielsweise klargestellt werden, wenn etwas aus reiner Kulanz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht geschieht.
Darüber hinaus ist es von enormer Bedeutung, die Defektursache klar einzugrenzen, wozu das Fahrzeug bestenfalls selbst in Augenschein genommen werden sollte. Gibt der Käufer in einer von ihm ausgewählten Werkstatt Reparaturen ohne Rücksprache mit dem Verkäufer in Auftrag, wird er seiner Gewährleistungs- und Garantieansprüche in der Regel verlustig.
Außerdem gilt: Nicht jeder Defekt ist auch ein Mangel im kaufrechtlichen Sinne. So können beispielsweise Verschleißerscheinungen oder elektronische Defekte bauteil- oder altersbedingt typischerweise jederzeit auftreten, sodass deren Vorliegen bei Übergabe unplausibel erschiene, womit die gesetzliche Vermutung nicht greifen dürfte.
Die vorgenannten Aspekte werden auch beim kommenden Autorechtstag wieder eine tragende Rolle spielen, so z.B. insbesondere im Rahmen der Vorträge
- Neues Gewährleistungsrecht nach dem Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Warenhandelsrichtlinie
- Die Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen in Bezug auf digitale Produkte im Kfz-Bereich
- Gesetzesänderungen zur Verbesserung und Modernisierung des Verbraucherschutzes
am ersten Veranstaltungstag und sicherlich auch während der Vorträge
- Aktuelle höchstrichterliche Entscheidungen zum Kauf- und Leasingrecht
- Aus der nationalen und internationalen Rechtsprechung zum Kaufrecht
an Tag 2.
Durch den persönlichen Erfahrungs- und Meinungsaustausch können Problemfelder anschließend vertieft und so die besten Voraussetzungen für die Praxis geschaffen werden.
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